2022 ist nicht so extrem pikant wie das Hammerjahr 2019 und nicht ganz so tänzelnd finessenreich wie der 2020er. Winzer mit langer Erfahrung sprechen eher von einer deutlich perfekteren Reinkarnation der Jahrgänge 1982, 1961 und 1949.
Dies war der trockenste Sommer in Frankreich seit Beginn der Aufzeichnungen und war insgesamt das heißeste Jahr seit 1947. Nicht so extrem und plötzlich heiß wie 2003, eher harmoniefördernd gleichmäßig warm und eben sehr trocken.
Nachdem im November und Dezember 2021 satt Regen fiel, blieb es in den Folgemonaten trocken und warm. Die Reben konnten sich also bei gleichmäßiger Blüte langsam an die Trockenheit gewöhnen. Die Terroirs mit den besten Wasserspeicher-Eigenschaften und den sehr tief wurzelnden alten Reben konnten das Wasser-Reservoir des Winters und Frühjahrs nach früher und sonniger Blüte relativ problemlos durch den trockenen Sommer nutzen.
Regen gab es erst wieder im Juni und dann in der zweiten Augusthälfte mit 30 bis 50mm. Danach blieb es sonnig und trocken mit einem langen »Indian Summer« bis weit in den Oktober und sogar November. Jeder konnte auf den perfekten Erntezeitpunkt warten, zumal es dank sommerlicher Stillstände keinen Zucker-Alkoholdruck gab.
Wer mit alten Reben und perfekten Terroirs dann noch, vom jährlich zunehmendem April-Frost und vom allzu häufigen Hagel des Frühsommers, verschont wurde, konnte sich gerade als biologisch arbeitender Winzer über das vollständige Ausbleiben von Fäulnis und Pilzkrankheiten freuen. Niemand musste auch nur irgendwas spritzen.
Für Bio-Winzer mit alten Reben und superbem Terroir war 2022 also ein so noch nie erlebtes, perfektes Jahr. Zumal man sich über die vergangenen 10 extremen Jahre an die besser angepasste Laub- und Bodenarbeit gewöhnt hat.
Saint Emilions und Castillons Kalksteinfelsen, Pomerols und Fronsacs Lehmböden und die dicken Kieslinsen des Medocs hatten bei sehr altem Rebbestand bis auf den Malus kleinerer Erträge kaum Sorgen.